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Kompetent führen - das Führungshandbuch

Führungsaufgaben optimieren

Inhaltsverzeichnis (Link)

Kapitel 8: Führungsaufgaben optimieren

Planung setzt Erfolgsmaßstäbe

Beim Vergleich erfolgreicher mit erfolglosen Menschen kam Sokrates vor 2500 Jahren zu dem Ergebnis: „Als ich merkte, dass von Leuten mit gleichen Fähigkeiten die einen sehr arm, die anderen aber sehr reich sind, verwunderte ich mich, und es schien mir eine Untersuchung wert, wie das kommt. Da stellte sich heraus, dass das ganz natürlich zuging. Wer nämlich ohne Plan handelte, an dem rächte es sich; wer sich aber mit angespanntem Verstand bemühte, der arbeitete schneller, leichter und gewinnbringender.“

Diese Sichtweise hat bis heute nichts an Aktualität verloren. Trotzdem ist die Planung in der Praxis äußerst unbeliebt. Sie wird häufig nur widerwillig durchgeführt und meistens auch als Last empfunden. Typische Aussagen sind:

Ø  „Wir haben keine Zeit zu planen!“

Ø  „Wie können wir planen, wenn sich die Märkte so schnell verändern?“

Ø  „Wir werden nicht für das Planen, sondern für gute Arbeit bezahlt!“

Ø  „Wozu planen? Die Geschäfte laufen doch gut!“

Derartige Meinungen beruhen auf einem fundamentalen Missverständnis dessen, was Planung bedeutet. Der wichtigste Grundsatz der Planung besteht nicht darin, die Zukunft vorherzusagen. Das kann nicht die Aufgabe des Managements sein. Dazu müsste man hellseherische Fähigkeiten haben. Die wichtigste Aufgabe der Planung ist der Zeitgewinn. Wenn beispielsweise für das Jahresende ein bestimmter Betrag für Ausgaben geplant wurde, und man stellt im Oktober fest, dass die Ausgaben um 50 Prozent überschritten werden, ist effektives Handeln kaum noch möglich. Stellt man aber bereits im März eine signifikante Soll-Ist-Abweichung fest, hat man neun Monate Zeit, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Im November ist es für Gegenmaßnahmen meistens zu spät.

Das gesamte Unternehmen kann nur dadurch funktionieren, dass auf nahezu allen Ebenen und in allen Abteilungen Ziele (Soll) festgelegt werden, um sie nach Ablauf der Planungsfrist mit den Ergebnissen (Ist) zu vergleichen. Aus diesem Soll-Ist-Vergleich leiten sich dann unzählige Maßnahmen ab. Der Erfolg des gesamten Unternehmens ist von der Fähigkeit des Managements abhängig, (ehrgeizige) Ziele zu erreichen. Folglich ist auch die Karriere sehr eng an die Unternehmensziele gekoppelt. Ziele findet man überall: Forschungsziele, Produktionsziele, Vertriebsziele, Marketingziele, Beschaffungsziele, Personalziele, Finanzziele, Produktivitätsziele, Rentabilitätsziele, Liquiditätsziele, Wachstumsziele, Kostenziele usw. Für alle Ziele gilt der zentrale Grundsatz der Planung (Zeitgewinn). Aus diesem Grund ist der Satz von Sokrates bis heute uneingeschränkt gültig.

Aus heutiger Sicht müsste man noch hinzufügen: Je schneller sich die Kundenwünsche, Märkte, das wirtschaftspolitische Umfeld und die Unternehmen verändern, desto wichtiger wird unternehmerische Planung. – Allerdings nicht Planung im Sinne einer Vorhersage der Zukunft, sondern im Sinne des Zeitgewinns.

Aus der Bedeutung der Ziele für den Erfolg des Unternehmens, und somit seiner Führungskräfte, folgt die Bedeutung der Zielvereinbarungen. Diese sind Gegenstand des nächsten Kapitels.

Durch Zielvereinbarungen Leistung steigern

Es scheint eine empirisch abgesicherte Tatsache zu sein, dass persönliche Ziele die Leistung steigern. Kleinbeck zählt über einhundert Studien, die belegen, dass eine Erhöhung von Zielsetzungen zur Leistungssteigerung führt. Dieser Zusammenhang gilt bis zu einem gewissen Punkt, an dem die Grenzen der Leistungsfähigkeit erreicht sind. Dieses Prinzip soll die Abbildung 8/1 veranschaulichen.

Als wichtigste Mechanismen, die für die Leistungssteigerung durch Zielvorgabe verantwortlich sind, nennt Kleinbeck

Ø  Richtung,

Ø  Anstrengung,

Ø  Ausdauer und

Ø  Lernen.

Durch ein Ziel bekommt das Handeln eine bestimmte Richtung. Damit sind andere Richtungen ausgeschlossen. Man kann sich voll auf das eine Ziel konzentrieren. Ferner neigen Menschen mit einem hohen Leistungsmotiv dazu, ihre Ziele in den Bereich mittlerer Erfolgswahrscheinlichkeit zu setzen. Der Erfolg verstärkt die Zielorientierung.

Bei hohen Zielen strengen sich Menschen mehr an als bei niedrigen. Sie mobilisieren mehr körperliche und geistige Energien. Außerdem steigern Ziele die Ausdauer, die notwendig ist, um gegen Widerstände bei der Zielverfolgung ankämpfen zu können. Ziele beschleunigen das Lernen und Auffinden von speziellen Strategien und Plänen, die bei der Lösung von Aufgaben hilfreich sind. Das stärkt die Selbstsicherheit und das Selbstvertrauen.

Abbildung 8/1: Abhängigkeit der Leistung von der Zielvorgabe

So beeinflussen Ziele die Leistung

Damit der Zusammenhang von Zielen und Leistung erhalten bleibt, sollte die Führungskraft folgende Einflussfaktoren beachten:

Ø  Rückmeldung

Ø  Zielgenauigkeit

Ø  Komplexität und

Ø  Zielbindung.

Es scheint eher die Ausnahme zu sein, dass die Ergebnisse der Anstrengung allein ausreichen, um den Mitarbeiter zur weiteren Leistung anspornen zu können. Meistens führt erst die Anerkennung durch den Vorgesetzten oder durch andere Mitarbeiter dazu, dass die Leistung eine attraktive und wirksame „Belohnung“ darstellt. Allerdings sollte man beachten, dass eine Rückmeldung durch den Vorgesetzten wirkungslos sein kann, wenn die Aufgabe aus sich heraus ausreichend Rückmeldungen anbietet.

Die Führungskraft muss also über ein entsprechendes Einfühlungsvermögen verfügen, um beurteilen zu können, wann und in welcher Form ein Lob angebracht ist. Ziele müssen einen angemessenen Grad der Genauigkeit haben. Unspezifische Ziele lauten etwa: „Tun Sie Ihr Bestes!“ oder „Schauen Sie sich mal das Problem X an!“

Tendenziell gilt, dass spezifische Ziele im Hinblick auf die Leistung wirksamer sind als unspezifische oder abstrakte. Es ist eine wichtige Aufgabe jeder Führungskraft, die zwangsläufig abstrakten Ziele der übergeordneten Hierarchieebenen in konkrete Ziele für die eigene Mannschaft zu „übersetzen“. Der Schwierigkeitsgrad oder die Komplexität einer Zielsetzung hat ebenfalls eine große Bedeutung für die Leistung. Man kann davon ausgehen, dass Zielsetzungen umso stärker wirken, je einfacher sie empfunden werden. Bei komplexen Aufgaben stehen mehrere Strategien und Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung. Oft besteht dabei das Problem, die effektivste Strategie herauszufinden. Einfachheit der Aufgabe ist nicht mit Anspruchslosigkeit gleichzusetzen. Vielmehr sollte der Mitarbeiter erkennen, dass eine Aufgabe anspruchsvoll und seinen Fähigkeiten entsprechend lösbar ist.

Schließlich hat die Bindung an Ziele einen wesentlichen Einfluss auf die Leistung. Der Mitarbeiter muss sich dem Ziel verpflichtet fühlen und darf das Ziel nicht aufgeben, sobald die ersten Probleme auftauchen. Für eine starke Zielbindung sind die in Abbildung 8/2 dargestellten Faktoren verantwortlich. Gelingt eine solche Bindung nicht, spricht man von „weichen Plänen“. Beispiel: Der Verkäufer erreicht die Zielvorgabe von fünfzig Kundenbesuchen pro Monat – Die Qualität der Gespräche war aber derart schlecht, dass kaum Aufträge zustande kamen.

Abbildung 8/2: Faktoren, die eine starke Zielbindung bewirken

Leistung und Verhaltenstyp

Die Steigerung der Leistung durch anspruchsvolle Ziele ist auch vom Typus des Mitarbeiters abhängig: Ist er erfolgsorientiert (Erfolgssucher) oder misserfolgsorientiert (Misserfolgsmeider)? Erfolgsorientierte Menschen neigen dazu, Erfolge ihren persönlichen Fähigkeiten zuzuschreiben. Misserfolge spornen sie zu höheren Leistungen an. Sie saugen Honig aus Niederlagen und den dabei gemachten Erfahrungen.

Dagegen können misserfolgsorientierte Verhaltenstypen selbst aus guten Leistungen keinen Bezug zu ihrem Selbstwertgefühl herstellen und glauben, ihr Erfolg sei auf Zufall oder auf günstige Umstände zurückzuführen. Sie neigen dazu, sich zurückzuziehen, wenn ihnen die Probleme über den Kopf wachsen. Leistung bringen sie erst, wenn sie Druck verspüren.

Beide Verhaltenstypen interpretieren die gleiche Situation also völlig anders. Erfolgsorientierte Menschen lassen sich meistens nur dann demotivieren, wenn sie es auf Dauer mit unfähigen, aber mächtigen Vorgesetzten zu tun haben. Bei misserfolgsmotivierten Menschen ist es besonders wichtig, realistische Ziele zu entwickeln, an denen der Mitarbeiter selbst mitgewirkt hat. Es ist in der Regel ein langer Lernprozess für den Vorgesetzten, bis er es versteht, diesen Typus zur Leistung zu motivieren.

Der Praxistest

Klare und zugleich herausfordernde Ziele sind keineswegs selbstverständlich. In der Praxis kommt es häufig vor, dass ganze Unternehmen oder Abteilungen praktisch ohne oder ohne verbindliche Ziele arbeiten. Das gilt besonders für zentrale Stabs- und Service-Abteilungen, für die es schwierig ist, klare Leistungsmaßstäbe zu definieren. Sie sind daher häufig der Inbegriff an Ressourcenverschwendung. Zur kritischen Prüfung Ihrer eigenen Praxis können Sie einmal folgende Fragen stellen:

1.     Sind Ihre Führungskräfte in der Lage, die drei wichtigsten kurz-, mittel- und langfristigen Unternehmensziele aufzuschreiben?

2.     Haben alle Führungskräfte (annähernd) gleiche Ziele genannt? Besteht also Konsens, der auf eine gemeinsame Richtung schließen lässt?

3.     Verfügen Ihre Führungskräfte und Mitarbeiter über messbare oder zumindest objektivierbare Ziele oder Erfolgskriterien zur Selbst- und Fremdkontrolle?

4.     Kennen Ihre Manager ihren jeweiligen Mindestbeitrag zur Sicherung des Unternehmenserfolges?

5.     Können Ihre Manager spontan fünf Aufgaben nennen, die am wirksamsten zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen?

Je mehr Fragen Sie mit „Nein“ oder „wahrscheinlich Nein“ beantworten, desto größer ist der Handlungsbedarf, der mit der Planung beginnen sollte.

Umsetzung von Zielvereinbarungen

Zur praktischen Umsetzung der Ziele in der Tagesarbeit dienen Zielvereinbarungen. Dabei kann man zwei Extrempositionen beobachten. Auf der einen Seite sind Mitarbeiter völlig frei, sich selbst Ziele zu setzen. Das andere Extrem sind detaillierte Zielvorgaben durch den Vorgesetzten. Zwischen diesen Extrempunkten liegt eine Fülle von Möglichkeiten. Für Zielvereinbarungen kann man folgende Arten von Zielen unterscheiden:

Ø  Standardziele. Sie legen bestimmte Standards hinsichtlich des Verhaltens oder der Arbeitsergebnisse fest. Beispiele für Verhaltensstandards sind Regeln für den Umgang miteinander, für das Konfliktverhalten oder das Betriebsklima. Standards für Arbeitsergebnisse legen im Wesentlichen den Umfang der quantitativen und qualitativen Leistung fest.

Ø  Innovative Ziele. Hierbei bekommt der Mitarbeiter Gelegenheit, selbständig neue Problemlösungen oder Produkte und Verfahren zu erarbeiten.

Ø  Qualitätsziele. Dazu kann man etwa den Abbau von Reklamationen, die Erhöhung der Kundenzufriedenheit oder die Senkung der Ausschussquote zählen.

Ø  Produktivitätsziele. Sie beziehen sich auf das Verhältnis von Aufwand und Ertrag in nahezu allen betrieblichen Bereichen – von der Warenannahme bis hin zum Versand.

Ø  Projektziele. Sie sind im Wesentlichen mit dem Auftraggeber vereinbart. Als nächsten Schritt muss der Projektleiter Teilziele, die so genannten Meilensteine definieren und in eine zeitliche Reihenfolge bringen.

Ø  Informationsziele. Sie dienen der Verbesserung des Informationsflusses und der Informiertheit der Mitarbeiter in einer organisatorischen Einheit.

Ø  Qualifikationsziele. Ihre Aufgabe ist es, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verbessern und die Mitarbeiter auf neue Tätigkeiten vorzubereiten.

Ø  Persönliche Entwicklungsziele. Sie betreffen das persönliche Fortkommen, und zwar sowohl hierarchisch als auch im Sinne des Erwerbs bestimmter Qualifikationen. Beispiele sind: Verbesserung des Arbeitsstils, des Problemlösungs- und Entscheidungsverhaltens, der Kommunikations-, Konflikt- und Teamfähigkeit und der Überzeugungskraft.

Das Zielvereinbarungsgespräch

Die Vereinbarung von Zielen aus diesem Katalog erfolgt im Zielvereinbarungsgespräch. Dieses kann man in drei Phasen einteilen:  Vorbereitung, Hauptteil und Abschluss. Bei der Vorbereitung klärt der Vorgesetzte folgende Fragen:

Ø  Inwiefern soll der Mitarbeiter bei der Zieldefinition mitwirken? Sind eher klare Vorgaben oder Forderungen angemessen?

Ø  Liegt das Ziel im Kompetenzbereich des Mitarbeiters?

Ø  Erlaubt es die momentane Arbeitsbelastung, neue Ziele zu definieren?

Ø  Wie fügt sich das Ziel in die übergeordneten Organisationsziele ein?

Ø  Welche Priorität hat das Ziel?

Der Mitarbeiter prüft, ob er über die notwendige Zeit und die erforderlichen Qualifikationen verfügt. Er entwickelt eigenständig Zielvorschläge und wägt die Möglichkeiten der Zielerreichung ab.

Im Hauptteil spricht der Vorgesetzte die Aufgabe an und lässt den Mitarbeiter Vorschläge machen. Dabei sollten frühere Fehlschläge und herausragende Erfolge weitgehend ausgeblendet bleiben. Jede Zielvereinbarung bietet die Chance für einen Neubeginn. Beiden Gesprächspartnern sollte klar sein, dass die Zielvereinbarung häufig einen Kompromiss darstellt. Im weiteren Verlauf lässt der Vorgesetzte keinen Zweifel daran, dass die Zielvereinbarung für beide Seiten verbindlich ist. Zur Zielvereinbarung gehört auch eine Übereinkunft darüber, wie und wann der Fortschritt und das Ergebnis zu kontrollieren sind. Der Vorgesetzte achtet ganz besonders darauf, dass das gewünschte Ergebnis Gegenstand der Zielvereinbarung ist und – bis auf wenige Ausnahmen – nicht die Aktivität. Mit anderen Worten: Die Ergebnisse sind entscheidend und der Aufwand, den der Mitarbeiter getrieben hat. Das setzt voraus, dass das Ziel erreichbar und gleichzeitig herausfordernd sein sollte. Um den Fortschritt und das Ergebnis sinnvoll beurteilen zu können, sollte das Ziel operationalisiert oder möglichst auch quantifiziert sein.

Zum Abschluss des Gesprächs gehören eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte und Ergebnisse sowie eine ehrlich gemeinte Ermunterung.

Die nachfolgende Zusammenstellung von Tipps und Hinweisen für gute Ziele nach Stroebe kann im Zielvereinbarungsgespräch zusätzlich wertvolle Hilfe leisten:

Ø  Lassen Sie den Mitarbeiter begründen, warum er bestimmte Ziele in das Zielsystem aufnimmt und andere nicht. So sichern Sie die Zielentscheidung ab.

Ø  Vereinbaren Sie zur Fortschrittskontrolle messbare Zwischenziele, messbar nach Qualität, Quantität, Kosten, Terminen und Güte der Zusammenarbeit.

Ø  Vereinbaren Sie nicht nur Ziele, die Selbstverständliches beinhalten, sondern auch Ziele, die Außergewöhnliches anstreben (Durchbruchsziele).

Ø  Leistungs- und selbstbewusste Manager setzen meist auch bessere und höhere Ziele.

Ø  Ziele werden häufig nicht ehrlich, sondern aus taktischen Überlegungen heraus formuliert, z. B. um ein größeres Budget zu erhalten.

Ø  Ziele müssen so formuliert sein, dass ihre Erreichung nicht auf Kosten anderer und damit der gesamten Leistung der Organisation geht. Sie müssen den Beitrag zum Unternehmenserfolg sichtbar machen.

Ø  Setzen Sie Kundenforderungen oder typische Probleme des Unternehmens in Ziele um. Beispiel: Die Anzahl der Reklamationen um 20 Prozent senken.

Ø  Setzen Sie sich konstruktiv mit den Schwierigkeiten auseinander, die Ihre Mitarbeiter bei der Zielerreichung haben, und bieten Sie Ihre Hilfestellung an. Machen Sie sich aber nicht zum Problemlöser der Mitarbeiter (Prinzip der Rückdelegation).

Ø  Nehmen Sie den Mitarbeitern auf keinen Fall die Verantwortung für die Zielerreichung ab, sie werden sonst unmündig!

Problemlösung und Entscheidung rationalisieren

Das Lösen von Problemen ist eine der wichtigsten Aufgaben im Tagesgeschäft einer Führungskraft. Fehlentscheidungen können zu substanziellen materiellen und immateriellen Verlusten führen und ein Unternehmen in ernste Existenznot bringen. Die Fähigkeit der effektiven Problemlösung ist auf allen Hierarchieebenen ein kritischer Erfolgsfaktor. Deswegen lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, welche Arten von Problemen es gibt, wie ein effektiver Prozess der Problemlösung funktioniert und wie man Fehlentscheidungen vermeiden kann. Typische Probleme im betrieblichen Alltag sind:

Ø  Eine Instandhaltung beansprucht die doppelte Zeit.

Ø  Ein Störfall legt den Betrieb lahm.

Ø  Ein neuer Wettbewerber dringt in den Markt mit einem wesentlich besseren Produkt ein.

Ø  Das Produktionsergebnis eines Monats entspricht nicht der vom Kunden geforderten Spezifikation.

Ø  Ein wichtiger Know-how-Träger wechselt zur Konkurrenz, und ein Ersatz ist kurzfristig nicht in Sicht.

Ø  Ein Produkt muss vorzeitig vom Markt genommen werden, weil es gesundheitliche Schäden zu verursachen droht.

Ø  Ein Forschungsprojekt liefert nicht die erhofften Ergebnisse und muss aufgegeben werden.

Ø  Die dringend notwendige Preiserhöhung erweist sich als nicht durchsetzbar.

Ø  Die Absatzmenge bricht unerwartet ein, so dass die Produktion und der Verkauf mit ernsthaften Auslastungsproblemen zu kämpfen haben.

Ø  Ein wichtiger Zulieferer geht in Konkurs, und andere Lieferanten können nicht die geforderte Qualität liefern.

Ø  Ein bedeutender Kunde storniert einen Großauftrag.

Zu derartigen Fällen kommt noch das gesamte Spektrum von Problemen im zwischenmenschlichen und kommunikativen Bereich hinzu. Angesichts der Fülle von Problemen im Tagesgeschäft erscheint es verständlich, wenn die Fähigkeit, Probleme effizient und zügig zu lösen, zu den wichtigsten Kernkompetenzen einer Führungskraft zählt.

Für die Problemlösung scheint das Pareto-Prinzip zu gelten. Demnach zählen etwa 80 Prozent aller Entscheidungen zu Routine-Entscheidungen. Sie beanspruchen etwa 20 Prozent des Arbeits-Aufwandes. Entsprechend zählen 20 Prozent der Probleme zu einer Kategorie, bei der die bisherigen Kenntnisse des Entscheiders häufig nicht ausreichen. Er muss über seine Erfahrungen hinausgehen. Dabei ist auf die Intuition nicht immer Verlass. Diese Kategorie von Problemen verursacht allerdings etwa 80 Prozent des Aufwandes.

Der Prozess des Problemlösens

Grundsätzlich ist ein Problem dadurch lösbar, dass man es in Teilprobleme zerlegt. Anschließend wählt man für diese Teilprobleme oder für das Problem als Ganzes aus einer Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten die – hoffentlich – beste aus. Das allgemeine Schema des formalen Prozesses der Problemlösung versucht die Abbildung 8/3 zu veranschaulichen. Das Schema soll auch auf die Notwendigkeit einer effizienten Methode der Problemlösung hinweisen: Wird das Problem beim ersten Durchgang nicht gelöst, müssen weitere Schleifen folgen. Das bedeutet, dass der Entscheidende andere Probleme zwangsläufig vernachlässigen muss. Deswegen ist es so wichtig, das Problem so zu strukturieren, dass es möglichst beim ersten Durchlauf lösbar ist.

Der rationale oder sachliche Aspekt der Problemlösung ist in der Regel recht einfach zu handhaben. Die eigentlichen Schwierigkeiten stecken in der emotionalen Dimension. So kann der Marketingleiter die drastisch gesunkene Umsatzrendite und die Hintergründe dieser Entwicklung völlig anders interpretieren als etwa der Produktionsleiter oder der Controller. Erschwerend kommt hinzu, dass der Entscheidungsträger manchmal gar nicht in der Lage oder gewillt ist, eine Entscheidung zu treffen. Ferner sind die Informationen oft widersprüchlich oder einfach nicht vorhanden. Auch über die Anzahl der möglichen Alternativen ist der Entscheidungsträger meistens nur unzureichend informiert – oder er bewertet sie nur oberflächlich.

Abbildung 8/3: Schematischer Ablauf der Problemlösung

Gefahren intuitiver oder emotionaler Entscheidungen

In der Praxis gleicht der Entscheidungsprozess häufig einem Durchwursteln. Der Entscheidungsträger vergleicht nacheinander einige Lösungsmöglichkeiten, bis er eine findet, die ihm plausibel oder sympathisch erscheint. Hinzu kommen meistens Zeitdruck und Stress. Je dringlicher das Problem und je wichtiger die Entscheidung, desto größer ist der Anteil emotionaler und irrationaler Einflüsse. Beteiligt sind nicht nur die Emotionen des Entscheidungsträgers, sondern auch die Gefühle und Hintergrundmotive betroffener Gegenspieler mit oftmals divergierenden Interessen. Die Entscheidungssituation gleicht dann einem unentwirrbaren, scheinbar irrationalen Knäuel von Gefühlen aller Betroffenen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „intuitiven“ Entscheidungen. Erst nachträglich sucht (und findet) man eine „rationale“ Begründung für die Entscheidung. Häufig ist es allerdings eine reine Rechtfertigung. Intuitive oder emotionale Entscheidungen müssen nicht nachteilig sein. Dennoch sollte man die wichtigsten Gefahren kennen, die mit solchen Entscheidungen verbunden sind:

Ø  Sachinformationen und Fakten enthalten regelmäßig eine Beimischung vager Eindrücke. Diese vagen Eindrücke können die Oberhand gewinnen – ohne dass es dem Entscheidungsträger bewusst ist.

Ø  Urteile tendieren zur Mitte hin. Mit wachsender „Erfahrung“ schwindet der Blick für Chancen, die außerhalb des Gewohnten liegen.

Ø  „Gute“ Problemlösungen auf einem Gebiet wie Personalentscheidungen überstrahlen die (geringe) Fähigkeit, auch Investitionsentscheidungen mit der gleichen Qualität fällen zu können.

Ø  Zurückliegende Entscheidungen haben oft eine derart große Nachwirkung, dass sie auch künftige Urteile beeinflussen, obwohl die Rahmenbedingungen völlig anders sind.

Ø  Entscheider neigen ungewollt dazu, ihre Urteile in Richtung ihrer subjektiven Erwartungen oder persönlichen Vorteile zu lenken. Sie tendieren zu angenehmen oder sympathischen statt zu „richtigen“ Lösungen.

Ø  Auch „objektive“ Informationen lassen sich unterschiedlich auslegen (das halb volle oder das halb leere Glas). Das gilt insbesondere für den Einfluss der Beziehungsebene der Kommunikation (siehe hierzu Kapitel 4 „Wirksam kommunizieren“).

Typische „Fehler“ beim Entscheidungsverhalten

Zu den wichtigsten Störfaktoren, die das Entscheidungsverhalten beeinflussen, gehören:

Ø  Unentschlossenheit,

Ø  Impulsivität,

Ø  übertriebener Optimismus oder Pessimismus sowie

Ø  Angstgefühle.

Unentschlossenheit kann eine grundlegende charakterliche Eigenschaft sein. Häufig ist sie jedoch situationsabhängig und leicht nachvollziehbar. Das lässt sich an dem folgenden Gedankenexperiment verdeutlichen:

Ein Einkäufer mit einem großen Budget hat die Gelegenheit, wertvolle Geschenke eines bestimmten Anbieters entgegenzunehmen, wenn er sich für sein Produkt entscheidet. Es kann für ihn ein langer und aufreibender innerer Kampf beginnen, der die Fantasie anregt. Diese innere „Zerrissenheit“ ist umso größer, je schwächer seine eigene Identität mit klaren Wert- und Zielvorstellungen ausgeprägt ist. Hat er dagegen gefestigte und klare Wertvorstellungen und Ziele, ist die Entscheidung in Bruchteilen einer Sekunde getroffen.

Das Beispiel soll zeigen, dass gefestigte persönliche Werte und Zielvorstellungen eine wesentliche Voraussetzung für eine sichere und ökonomische Urteilsfähigkeit darstellen. In Unternehmen oder Abteilungen ohne klare und verbindliche Ziele neigen die Führungskräfte dazu, Entscheidungen vor sich herzuschieben oder zurückzu- delegieren. Sie wollen sich nach allen Seiten absichern für den Fall, dass eine Entscheidung sich als „falsch“ herausstellen könnte. Sie verwenden mehr Zeit für das politische Taktieren und für das Verschleiern ihrer Unentschlossenheit als für den Entscheidungsprozess selbst.

Ein weiterer Störfaktor des Entscheidungsverhaltens kann die Impulsivität sein. Impulsive Menschen entscheiden zwar schnell, müssen aber anschließend einen großen Aufwand betreiben, um die negativen Folgen ihres Verhaltens zu korrigieren oder zu neutralisieren. Manchmal ist die Impulsivität mit mangelndem Einfühlungsvermögen verbunden. Diese Führungskräfte merken dann gar nicht, wie viel unsinnige Entscheidungen sie täglich fällen.

Gegen Impulsivität helfen bestimmte Regeln oder Rituale. Manche Führungskräfte haben es zum Prinzip gemacht, jede Entscheidung zuvor mit dem Lebenspartner zu besprechen – auch wenn dieser zur Problemlösung nichts beitragen kann. Es sind sehr nützliche „Verzögerungstaktiken“ vom Typ: „Erst einmal eine Nacht darüber schlafen“. Weit verbreitet ist auch das Vier-Augen-Prinzip. Demnach muss in vielen Unternehmen jeder Brief von zwei Personen unterschrieben sein.

Ein ausgeprägter Optimismus behindert Entscheidungen genauso wie ein übermäßiger Pessimismus. Optimisten neigen dazu, Probleme durch die rosarote Brille zu sehen und erwarten häufig unrealistische Ergebnisse. Sie können eine große Begeisterungsfähigkeit entwickeln, die aber in keinem angemessenen Verhältnis zu den Fakten steht.

Das gegenteilige Entscheidungsverhalten gilt für den Pessimisten. Beiden Personengruppen kann man empfehlen, ihre ausgeprägte Haltung in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Abgesehen davon ist das Problemlösen in Gruppen mit Hilfe der Moderationsmethode eine hervorragende Möglichkeit, einen Ausgleich extremer Verhaltensweisen herbeizuführen.

Schließlich wären noch die Angstgefühle als Störfaktor im Entscheidungsprozess zu nennen. Es kann zum einen die Angst vor Fehlentscheidungen sein. Das ist häufig eine Frage der Unternehmenskultur und ihrer Fehlertoleranz. Eine risikoscheue Unternehmenskultur kann andere Angstgefühle fördern, nämlich die Scheu vor Konflikten.

Das gilt besonders für Manager mit ausgeprägten sozialen Bedürfnissen nach Zugehörigkeit oder dem Wunsch, möglichst überall beliebt zu sein. Sie sind angewiesen auf die Zuwendung durch andere und fürchten, ihre Mitarbeiter oder Kollegen enttäuschen zu müssen, weil jede Entscheidung andere Möglichkeiten ausschließt. Die Folge ist, dass diese Führungskräfte Problemen möglichst aus dem Weg gehen oder sie unter den Teppich kehren.

Lösungsansätze

Aus den Überlegungen des vorherigen Abschnittes folgt der Grundsatz, wonach der Entscheider in erster Linie realistisch sein sollte. Das bedeutet, dass er sich alle Gefühle (seine und die seiner Gegenspieler) bewusst machen und deren möglichen Einfluss auf die Entscheidung abschätzen sollte. Er könnte sich beispielsweise fragen: „Wie würde ich entscheiden, wenn ich bestimmte Ängste ignoriere?“, oder: „Was würde ich tun, wenn die Personen X und Y von meiner Entscheidung nicht betroffen wären?“, oder: „Wie hätte ich in der gleichen Situation vor fünf Jahren entschieden?“ Es handelt sich hierbei mentales Training, bei dem der Betroffene verschiedene Konstellationen gedanklich durchspielt und sich dabei über den Einfluss seiner Gefühle auf die Entscheidung klar wird. Weitere brauchbare Methoden sind:

Ø  Labyrinthstrategie: Durchführen von Versuchen, Testläufen und Experimenten, bis der richtige Weg gefunden ist.

Ø  Turmstrategie: Sie löst einen Fall ähnlich wie der Kriminalist nach Indizien, die er von einer höheren geistigen Warte aus beobachtet und dabei verschiedene Perspektiven einnimmt. Dazu gehört auch die berühmte Vogelperspektive sowie die Fähigkeit, vom Tagesgeschäft abstrahieren zu können.

Ø  Schichtenstrategie: Sie ist vergleichbar mit der Arbeit eines Archäologen. Er trägt Schicht für Schicht eines Problems ab, um sie in anderem Zusammenhang wieder der Reihe nach aufzubauen. Dabei versucht er, Regeln, Prinzipien oder Schemata zu entdecken.

Ø  Modellstrategie: Modelle sind vereinfachte oder verkleinerte Abbilder der Realität. Sie ermöglichen es, Funktionen und Zusammenhänge zu studieren und Experimente durchzuführen.

Effektiv delegieren

Ziele sollen den Mitarbeiter zur Leistung motivieren und seiner Arbeit einen Sinn geben. Der Vorgesetzte führt den Mitarbeiter zu den Zielen durch:

Ø  Weisungen,

Ø  Aufträge oder

Ø  Delegation.

Bei einer Weisung legt der Vorgesetzte sowohl das Ziel als auch den Weg zum Ziel fest. Hinzu kommt noch ein Termin, an dem das Ziel zu erreichen ist. Der Mitarbeiter hat nur geringe Möglichkeiten zur Mitwirkung und zur Gestaltung seiner Arbeit.

Damit das Führen mit Weisungen überhaupt funktionieren kann, muss der Vorgesetzte das gesamte Aufgabengebiet seines Mitarbeiters beherrschen. Nur so kann er einschätzen, ob das Ziel realistisch und das Ergebnis angemessen ist. Häufig glaubt der Vorgesetzte, er müsste das Aufgabengebiet sogar besser beherrschen als sein Mitarbeiter, um als Vorbild gelten zu können. Tatsächlich ist ein solches Bemühen meistens zum Scheitern verurteilt.

Mit der steigenden Vielschichtigkeit der Aufgaben und dem raschen technischen Wandel sind die Mitarbeiter ihren Vorgesetzten bei Spezialaufgaben in aller Regel überlegen. Außerdem müsste der Vorgesetzte nicht nur das Arbeitsgebiet eines einzelnen, sondern aller seiner Mitarbeiter beherrschen. Damit wäre er in einem arbeitsteiligen Unternehmen hoffnungslos überfordert. Die Weisung dürfte daher nur in wenigen Ausnahmefällen sinnvoll sein. Hinzu kommt  der Reifegrad des Mitarbeiters.

Beim Auftrag sind die Ziele vorgegeben oder zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter vereinbart. Dem Mitarbeiter steht es frei, den besten Weg zur Zielerreichung selbst zu suchen und auszuwählen. Der Vorgesetzte nutzt die Sach- und Fachkenntnisse seiner Mitarbeiter zur Lösung von Problemen oder zur Realisierung von Zielen, indem jeder einen sinnvollen Beitrag leistet. Der Vorgesetzte ist also Koordinator, der das Gesamtziel im Auge behält und die Teilprobleme zu einem einheitlichen Konzept zusammenfasst.

Die Delegation geht noch einen Schritt weiter. Ihr wichtigstes Merkmal ist die Übertragung (1) einer Aufgabe mit entsprechenden Befugnissen und von (2) Verantwortung auf den Mitarbeiter. Bei den Befugnissen geht es um Entscheidungs-, Mitsprache-, Informations- und Anordnungsrechte sowie um materielle und personelle Ressourcen, die zur sinnvollen Erfüllung der Aufgabe notwendig sind.

Bei der Aufgabe handelt es sich meistens um ein abgegrenztes Aufgabengebiet, das aus vereinbarten grundsätzlichen oder übergeordneten Zielvorstellungen und Rahmenbedingungen resultiert. Ein Beispiel für eine Aufgabe wäre die Leitung eines Forschungslabors, eines Produktionsbetriebes oder eines Profit-Centers auf der Grundlage der geltenden Unternehmensstrategie. Verantwortung bedeutet zugleich, dass das Erfüllen oder Verfehlen von Zielen positive oder negative Konsequenzen für die Betroffenen haben muss – ansonsten besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter ihre Aufgabengebiete nicht ernst nehmen. Statt einer Kultur der Verbindlichkeit und Verantwortung entsteht dann eine Kultur der Rechtfertigung und des politischen Taktierens.

Voraussetzungen für den Erfolg der Delegation

Die Delegation ist dann erfolgreich, wenn der Mitarbeiter bereit und gewillt ist, die Verantwortung mit den dazugehörigen Konsequenzen zu übernehmen. Damit der Mitarbeiter gern und erfolgreich Verantwortung übernimmt, ist es wichtig, dass Aufgaben, Befugnisse und Verantwortung übereinstimmen.

Im betrieblichen Alltag ist diese Übereinstimmung keineswegs selbstverständlich. Häufig bekommt der Mitarbeiter schwierige Aufgaben mit großer Verantwortung übertragen – die dazu notwendigen Befugnisse oder Ressourcen fehlen, weil der Vorgesetzte nicht bereit ist, einen Teil seiner Macht- oder Informationsbefugnisse abzugeben. Das Abgeben von Befugnissen bereitet vielen Vorgesetzten große Probleme. Mit der Delegation verliert der Vorgesetzte direkten Einfluss; er macht sich in Teilbereichen entbehrlich, und er verzichtet auf  die Früchte und Erfolge der Arbeit. Besonders betroffen sind Vorgesetzte, die die Misserfolge in erster Linie ihren Mitarbeitern zuschreiben und Erfolge besonders gern auf ihr eigenes Konto verbuchen.

Problematisch ist nicht nur der Fall mangelnder Befugnisse des Mitarbeiters. Genauso schwierig ist es, wenn er über weitgehende Rechte verfügt, ohne entsprechende Verantwortung zu tragen oder ohne herausfordernde Aufgaben zu sehen. Die Notwendigkeit der sinnvollen Harmonisierung von Aufgaben, Befugnissen und Verantwortung macht deutlich, dass die Delegation hohe Ansprüche an die Fähigkeiten der Führungskraft stellt. Sie muss in der Lage sein, die Qualifikation und die Motivationslage jedes einzelnen Mitarbeiters richtig einzuschätzen, zu koordinieren und gegebenenfalls zu entwickeln. Die Führungskraft muss bereit sein, Fehler in gewissem Umfang zuzugestehen und Wege zum Ziel zuzulassen, die sie selbst nicht gegangen wäre. Es sind ein hohes Maß an Vertrauen und Toleranz erforderlich.

Viele Führungskräfte behaupten, ihre mangelnde Bereitschaft, Befugnisse abzugeben, sei darauf zurückzuführen, dass ihre Mitarbeiter nicht über die erforderliche „Reife“ oder Qualifikation verfügen. Bei genauerem Hinsehen stellt man aber fest, dass die erste Hierarchieebene das über die zweite behautet, die zweite über die dritte und so weiter. Derartige Überzeugungen fördern das Entstehen sich selbst erfüllender Prophezeiungen: Wenn ein Vorgesetzter davon überzeugt ist, dass sein Mitarbeiter nicht in der Lage ist, die Verantwortung für eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen, wird er an ihn nur wenig anspruchsvolle Aufgaben delegieren. Dieser fühlt sich unterfordert und hat kaum Gelegenheit, seine Qualifikationen zu entwickeln. Das Ergebnis ist eine unzureichende Arbeitsleistung. So gesehen kann man davon ausgehen, dass jeder Vorgesetzte diejenigen Mitarbeiter bekommt, die er verdient.

Eine weitere Voraussetzung für den Erfolg der Delegation ist die vorausschauende Planung, die es vermeidet, dass regelmäßig Krisensituationen entstehen oder „unerwartete“ Probleme auftauchen. Bei Problemen hat die Führungskraft das ihr generell zugestandene Recht, in den Zuständigkeitsbereich des Mitarbeiters korrigierend einzugreifen. Diese Eingriffe fallen der Führungskraft meistens nicht schwer, weil sie ihre Bedeutung als „wichtiger“ Krisenmanager unterstreichen. Der Vorgesetzte genießt das Gefühl, dass nur er in schwierigen Situationen helfen kann. Er erzielt eine Aufwertung seiner eigenen Persönlichkeit, die meist auf Kosten des Mitarbeiters geht. Die tatsächliche Ursache ist allerdings nicht die geringere Fähigkeit des Mitarbeiters, sondern die mangelhafte Planung und Vo-rausschau des Vorgesetzten. Auf diese Weise kann er seine Unfähigkeit in einen Vorteil ummünzen und auch noch den Anschein erwecken, er sei unentbehrlich.

Möglicher Umfang der Delegation

Der Führungsprozess umfasst folgende Phasen:

Ø  Zielvereinbarung,

Ø  Planung,

Ø  Entscheidung,

Ø  Umsetzung und

Ø  Kontrolle.

Der Vorgesetzte kann den Führungsprozess so gestalten, dass praktisch alle Befugnisse zur Zielvereinbarung, Planung, Entscheidung, Umsetzung und Kontrolle in seiner Hand liegen. Das wäre das eine Extrem. Im entgegengesetzten Extremfall kann er alle diese Befugnisse auf seinen Mitarbeiter übertragen. Die Praxis liegt irgendwo dazwischen. Zur Befugnis der Zielvereinbarung gehören:

Ø  Ziele und Umfang der Arbeit definieren

Ø  Abstimmung mit Abteilungs- und Unternehmenszielen durchführen

Ø  Teilziele aus dem Gesamtziel ableiten

Ø  Bedeutung der Teilziele abklären

Ø  Termine zur Zielerreichung festlegen.

Zur Befugnis der Planung gehören:

Ø  Prognosen entwickeln

Ø  Aktionen planen

Ø  Vorschläge entwickeln

Ø  Ressourcen bereitstellen

Ø  Ideen und Vorschläge sammeln

Ø  Probleme in ihrer Bedeutung und ihrem Umfang definieren.

Zur Befugnis der Entscheidung gehören:

Ø  Zuständigkeiten festlegen

Ø  Mögliche Folgen von Entscheidungen ausloten

Ø  Alternativen suchen und entwickeln

Ø  Vorschläge untersuchen und gewichten

Ø  Aktionen erarbeiten

Ø  Ablaufmöglichkeiten analysieren

Ø  Richtung und Intensität bestimmen.

Zur Befugnis der Umsetzung gehören:

Ø  Verfügung über Arbeitsmittel und Personen

Ø  Engpässe und Reibungsverluste minimieren

Ø  Abläufe beschleunigen oder verlangsamen

Ø  Aufträge oder Anweisungen erteilen

Ø  Dauerregelungen treffen

Ø  Struktur und Prozess organisieren

Ø  Randbedingungen definieren und einhalten.

Zur Befugnis der Kontrolle gehören:

Ø  Überwachung der Arbeitsabläufe sicherstellen

Ø  Standards, Regeln und Normen definieren

Ø  Randbedingungen einhalten

Ø  Arbeitsergebnis definieren und feststellen

Ø  Soll-Ist-Abweichungen ermitteln

Ø  Korrekturvorschläge für Plan- und Zielvorgaben erarbeiten.

Diese Befugnisse kann der Vorgesetzte ganz oder teilweise an seine Mitarbeiter delegieren. In welchem Ausmaß das möglich oder sinnvoll erscheint, ist in hohem Maße von der Reife und Qualifikation des Mitarbeiters abhängig (siehe Abbildung 8/4).

Abbildung 8/4: Führung je nach Reife des Mitarbeiters

Betrachtet man die Reife des Mitarbeiters, ist seine fachliche und intellektuelle Qualifikation nur ein Aspekt. Hinzu kommen weitere Eigenschaften wie

Ø  Initiative, Leistungs- und Kooperationsfähigkeit sowie die Bereitschaft, sich in eine soziale Gemeinschaft oder ein Team einzuordnen;

Ø  Kooperations- und Kommunikations- und Konfliktfähigkeit sowie der Wille, etwas voranzubringen;

Ø  Selbständigkeit, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit und Organisationstalent.

Je nachdem, welches Eigenschaftsprofil der Mitarbeiter hat, kann die Führungskraft mit einer Fülle von Verhaltensweisen reagieren. Diese lassen sich zu drei Hauptformen zusammenfassen. Dazu gehören:

Direktives Führen

Der Vorgesetzte ist zuständig für die Zielvereinbarung, Planung, Entscheidung und Kontrolle. Der Mitarbeiter trägt die Verantwortung für die exakte Durchführung der Vorgaben. Der Vorgesetzte plant und entscheidet alles selbst. Ferner kontrolliert er das Verhalten und die Arbeitsergebnisse seiner Mitarbeiter.


Dieses direktive Führungsverhalten erscheint angebracht, wenn der Mitarbeiter wenig qualifiziert ist, kaum Initiative entfaltet und geringe Kooperationsbereitschaft zeigt.

Partizipatives Führen

Der Vorgesetzte lässt den Mitarbeiter bei Planung, Entscheidung und Kontrolle mitwirken. Die Befugnis zur Zielvereinbarung behält er voll in seinen Händen, während die Ausführung oder Umsetzung allein in den Verantwortungsbereich des Mitarbeiters fällt. Partizipatives Führen setzt voraus, dass der Mitarbeiter nicht nur qualifiziert ist, sondern auch Initiative, Kooperationsbereitschaft und Zielbewusstsein zeigt.


Delegatives Führen 

Beim delegativen Führen sollte der Mitarbeiter zusätzlich noch ein hohes Maß an Selbständigkeit mitbringen. Der Vorgesetzte vereinbart mit seinen Mitarbeitern bestimmte Ziele. Alle anderen Befugnisse gehen im Wesentlichen auf die Mitarbeiter über. Sie planen selbst, treffen allein die notwendigen Entscheidungen und sorgen für die Kontrolle (Selbstkontrolle). Der Vorgesetzte konzentriert sich auf die Ergebnisse und koordiniert diese.


In der praktischen Führungsarbeit sollte der Vorgesetzte bei jüngeren Mitarbeitern in der Regel mit einem weitgehend direktiven Führungsstil beginnen. Je nach Reife und Entwicklungspotenzial seiner Mitarbeiter kann er schrittweise zu einem rein delegativen Führungsstil übergehen. Das erfordert auf Seiten der Führungskraft eine wesentlich höhere Reife als auf Seiten der Mitarbeiter. Deshalb gilt die faktische Anzahl der Nachwuchskräfte, die eine Führungskraft erfolgreich entwickelt hat, zu Recht als einer der wichtigsten Indikatoren für die Qualifikation des Vorgesetzten. Einer schwachen Führungskraft wird es in aller Regel nicht gelingen, Mitarbeiter mit hohem Potenzial zu entwickeln.

Zusammenfassend lassen sich folgende Vorteile des delegativen Führens festhalten:

Ø  Durch fachlich hoch qualifizierte Mitarbeiter, die auf vielen Gebieten sogar besser als der Vorgesetzte sein können, kann dieser seine Fähigkeiten potenzieren. Die Angst vor der Überlegenheit einzelner Mitarbeiter ist zwar weit verbreitet, aber meistens völlig unbegründet.

Ø  Traditionelle Maximen der Erziehung wie Gehorsam und Abhängigkeit haben heute kaum noch eine Bedeutung für die Leistungsbereitschaft. Delegatives Führen passt wesentlich besser zu modernen Wertvorstellungen und Motiven wie Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung. Ein Ansprechen dieser Motive erhöht die Leistungsbereitschaft besonders wirksam.

Ø  Der Durchschnitt der Mitarbeiter ist heute wesentlich qualifizierter als noch vor zwanzig Jahren. Menschen mit guter Ausbildung wollen ihre Kenntnisse auch anwenden, eigene Erfahrungen machen und fachlich wie auch menschlich wachsen. Der Erfolg ihrer Arbeit trägt dazu bei, Sinnhaftigkeit zu empfinden.

Ø  Der Vorgesetzte kann sich weitgehend vom Tagesgeschäft entlasten. Er entwickelt eine neue Kernkompetenz, die darin besteht, eine Vielzahl von Fachergebnissen auf ein Ziel hin zu konzentrieren. Man nennt dies auch die Fähigkeit zu funktionsübergreifendem Denken, die im Topmanagement unentbehrlich ist.

Ø  Je direktiver der Führungsstil, desto größer ist im Allgemeinen der Kontrollaufwand. Als Faustregel gilt, dass ein Mitarbeiter im Durchschnitt 10 bis 15 Prozent der Kapazität eines Vorgesetzten bindet. Folglich sinkt der Kontrollaufwand beim delegativen Führen erheblich.

Ø  Delegatives Führen steigert die Kreativität und Innovationsfähigkeit. Gerade bei innovativen Aufgaben, bei denen es um Erfindungen, völlig neue Wege, Verfahren und Produkte geht, ist ein Höchstmaß an Fantasie, Flexibilität und Engagement gefordert. Durch Delegation hat der Vorgesetzte die Chance, sich diese Freiräume zu schaffen, statt in einer buchhalterischen Art die Mitarbeiter anzuleiten und zu überwachen.

Ø  Durch delegatives Führen fallen Entscheidungen dort, wo die Kompetenz am größten ist. Gleichzeitig steigt das Verantwortungsgefühl für die Ergebnisse der Arbeit. Das gilt in besonderem Maße für das Prinzip der Kundenorientierung und betrifft sowohl  interne als auch externe Kunden.

Ø  Das Delegationsprinzip fördert die Entwicklung und Qualifikation der Mitarbeiter. Es steigert ihr Selbstwertgefühl und schafft die Voraussetzung dafür, dass Menschen bereit sind, ihre persönlichen Leistungsmaßstäbe kontinuierlich anzuheben.

Ø  Das Delegationsprinzip begünstigt eine Firmenkultur der Eigenverantwortung, Leistung, Fehlertoleranz, Zukunftsorientierung und des Selbstbewusstseins.

Motivierend kontrollieren

Die Kontrolle hat eine ähnlich große Auswirkung auf die Arbeitsleistung wie die Zielsetzung. Ziele geben dem Mitarbeiter eine Richtung und einen Sinn. Feedback und Kontrolle lassen den Fortschritt im Hinblick auf die Zielsetzung erkennen und wirken verstärkend. Die Information über die eigene Leistung ist Voraussetzung für die nachfolgende Anstrengung.

Es scheint nur wenige Menschen zu geben, die weitgehend ohne äußere Anerkennung auskommen können und aus sich selbst heraus das Gefühl entwickeln, etwas Sinnvolles oder Besonderes geleistet zu haben. Für die meisten Menschen ist ein äußeres, von anderen stammendes Feedback wichtig. Die Anerkennung ist umso wirksamer, je mehr Glaubwürdigkeit, Ansehen und Vertrauen die anerkennende Person besitzt. Negatives Feedback oder Kritik ist dann besonders wirksam, wenn der Betroffene über ein hohes Selbstvertrauen verfügt und wenn das Gespräch problem- und zukunftsorientiert verläuft. Das Gegenteil wäre ein Gespräch, das sich an Fehlern, Schuldzuweisungen und der ohnehin nicht änderbaren Vergangenheit orientiert.

„Kontrolle“

Kontrolle und Leistungsbewertung zielen in der Regel auf

Ø  den Arbeitsfortschritt,

Ø  das Arbeitsverhalten und

Ø  die Arbeitsergebnisse.

Beim Arbeitsfortschritt geht es um die Abweichung vom Soll. Es kommt darauf an, eine Soll-Ist-Abweichung möglichst frühzeitig zu erkennen, um korrigierende Eingriffe zu ermöglichen.

Die Kontrolle des Arbeitsverhaltens soll darüber Auskunft geben, inwiefern der Mitarbeiter seine Aufgaben effizient bewältigt und die geforderten Verhaltensweisen wie Initiative, Belastbarkeit und Lernfähigkeit zeigt. Bei der Kontrolle des Arbeitsergebnisses geht es um die Realisierung der vereinbarten Arbeitsziele. Die Zielerreichung kann man in quantitativer (Arbeitsmenge und Arbeitstempo), in qualitativer (Genauigkeit, Zuverlässigkeit) und in zeitlicher (Termintreue) Hinsicht bewerten.

Die Aspekte Arbeitsfortschritt, Arbeitsverhalten und Arbeitsergebnisse gehören zur klassischen Feedback-Kontrolle. Fehlentwicklungen und Abweichungen lassen sich dabei erst im Nachhinein feststellen. Oft kommen die notwendigen Korrektur-Maßnahmen zu spät, um Ziele und Standards verändern zu können. Deswegen ist neben der Feedback-Kontrolle auch die Feedforward-Kontrolle wichtig. Dabei geht es um Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für hohe Leistung und Motivation. Zu den Voraussetzungen zählen:

Ø  Leistungszufriedenheit (Befriedigung der Leistungsmotive)

Ø  Selbstvertrauen (Zuversicht in eigene Fähigkeiten)

Ø  Anspruchsniveau (Höhe und Schwierigkeitsgrad der Ziele)

Ø  Erfolgserwartung (Wahrscheinlichkeit des Erfolges)

Ø  Identifikation mit den Zielen und Werten der Organisation

Ø  Persönliches Wachstum (Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Kompetenzen).

Der Vorgesetzte sollte für sich allein oder im Gespräch mit seinem Mitarbeiter ständig kritisch prüfen, inwiefern diese Voraussetzungen erfüllt sind und was konkret zu verändern ist. In einigen Unternehmen sind derartige Gespräche institutionalisiert und finden im Abstand von ein bis zwei Jahren statt. Andere Unternehmen haben derartige Gespräche als Instrument im Tagesgeschäft fest verankert und zu einer Selbstverständlichkeit gemacht. Somit entfällt das formelle Ritual und begünstigt eine offene und vertrauensvolle Gesprächs- und Streitkultur.

Pragmatische Regeln der Kontrolle

Die Aufgabe des Kontrollierens empfinden viele Führungskräfte als unangenehm. Sie müssen mögliche Schwachstellen, Probleme und Fehler des Mitarbeiters offen ansprechen. Aus einem falsch verstandenen Harmoniebedürfnis und mangelnder Konfliktbereitschaft he-raus sehen manche Führungskräfte über Leistungsmängel hinweg. Sie „warten“ so lange, bis das berühmte Fass überläuft. Die Folge sind dann irreparable Schäden im Arbeitsklima. Vor diesem Hintergrund sollen folgende, auf dem gesunden Menschenverstand beruhende, pragmatische Regeln der Kontrolle weiterhelfen:

Transparenz

Die wichtigsten Kontrollen festlegen und die Mitarbeiter informieren.

Häufigkeit

Die Kontrollen angemessen durchführen. Das Vertrauen zu den einzelnen Mitarbeitern und Führungskräften fördern.

Offenheit

Beurteilungskriterien bekannt machen und möglichst objektiv anwenden.

Angst abbauen

Kooperativen Stil anstreben. Mit den betreffenden Mitarbeitern reden. Meinungen und Standpunkte abwägen. Kontrolle sollte für alle selbstverständlich sein.

Konsequenzen

Mit angemessenen Konsequenzen bei Nichteinhalten von Vorgaben reagieren. Verstöße auf Motive hin analysieren. Ideen und Veränderungsvorschläge kritisch mit Mitarbeitern prüfen, besprechen und realisieren.

Verantwortlichkeit

Die Eigenverantwortung des Einzelnen fördern. Breite Informationspolitik anstreben. Die Kontrolle als Chance und Hilfe bei der Realisierung von Zielen und Maßnahmen sehen.

Förderung der Selbstkontrolle

Manche Mitarbeiter haben ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung und Feedback. Dadurch machen sie sich aber abhängig vom Lob des Vorgesetzten. Ermunterung zur Selbstkontrolle fördert die reife Persönlichkeit.

Respekt vor dem Menschen

Bei der Durchführung von Kontrollen immer den Menschen im Mittelpunkt sehen – aber sachlich und hart in der Sache bleiben.

Keine Überreaktion

Angemessenes Verhalten bei Abweichungen von Anweisungen oder bei Fehlern.

Beurteilungskriterien

Für die eine sinnvolle Kontrolle benötigt man Kriterien, anhand deren die Leistung und das Verhalten der Mitarbeiter zu messen sind. Gaugler hat über 600 solcher in der Praxis angewandter Kriterien gefunden. Ihre Auswahl und Gewichtung ist in erster Linie vom strategischen Personalmanagement abhängig und ist folglich von Unternehmen zu Unternehmen anders. Zu den am häufigsten erhobenen Kriterien zählen:

Arbeitsergebnis

Ø  Nutzung von Sach- und Fachwissen/Erfahrungen

Ø  Arbeitsmenge und Arbeitstempo

Ø  Qualität der Arbeit (Genauigkeit und Zuverlässigkeit)

Ø  Berücksichtigung neuer Entwicklungen und Trends

Ø  Termintreue.

Arbeitsverhalten

Ø  Persönliche Arbeitsorganisation und Selbstmanagement

Ø  Lernbereitschaft und Lernfähigkeit

Ø  Stressresistenz und Ausdauer

Ø  Kostenbewusstsein und wirtschaftlicher Umgang mit Ressourcen

Ø  Konstruktive Kritik an Abläufen, Spielregeln und Kollegen

Ø  Engagement, Initiative und Identifikation mit den Zielen

Ø  Verantwortungsbereitschaft

Ø  Bewältigung außergewöhnlicher und belastender Situationen und Aufgaben.

Arbeitsplanung

Ø  Vorausschau künftiger Probleme und Aufgaben

Ø  Festlegen von Zielen und Standards im Einklang mit den Abteilungs- und Unternehmenszielen

Ø  Einbeziehung von Kollegen und Mitarbeitern in den Planungsprozess

Ø  Eigenständigkeit bei der regelmäßigen Überprüfung der Planung auf Aktualität und Plausibilität.

Kundenorientierung (interne/externe Kunden)

Ø  Maßnahmen zur kontinuierlichen Verbesserung im Hinblick auf Kundenwünsche

Ø  Prompte und positive Reaktion auf Anforderungen von Kunden

Ø  Sorgfältiges Abwägen zwischen Anforderungen des Kunden und dem erforderlichen Aufwand.

Intellektuelles Potenzial

Ø  Logisches, strukturiertes und effizientes Vorgehen bei der Analyse von Problemen und deren Lösungsmöglichkeiten

Ø  Interesse für Zusammenhänge, die über das eigene Arbeitsgebiet hinausgehen

Ø  Qualität der Analysen, Prognosen und Empfehlungen

Ø  Verantwortungsvolle Weitergabe von Informationen

Ø  Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit auf der Basis rationaler Abwägung  von Chancen und Risiken

Ø  Geistige Beweglichkeit als Bereitschaft, Fragen und Probleme von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten

Ø  Blick für das Wesentliche und Fähigkeit Wichtiges con Unwichtigem zu trennen

Ø  Bereitschaft zur Selbstreflexion und Selbstkritik.

Zusammenarbeit und Teamverhalten

Ø  Positive und konstruktive Reaktion auf Kritik

Ø  Weitergabe von Informationen, Know-how und Erfahrungen

Ø  Konstruktives Konfliktlösen

Ø  Ausgleich und Schlichtung in schwierigen Situationen

Ø  Umgang mit Spannungen, Aggressionen und unterschiedlichen Interessen

Ø  Integrationsfähigkeit

Ø  Hilfsbereitschaft und Fähigkeit, auf andere zuzugehen.

Kommunikation

Ø  Überzeugungskraft und Durchsetzung auch gegen Widerstände

Ø  Qualität und Angemessenheit der Argumente

Ø  Einfühlungsvermögen

Ø  Fähigkeit, Gedanken und Sachverhalte klar und verständlich zu formulieren

Ø  Effiziente Besprechungen, Sitzungen und Workshops

Ø  Beherrschen von Techniken der Präsentation und Moderation

Ø  Offenheit und Aufrichtigkeit

Ø  Klare, konsistente und vollständige Briefe und Vorlagen

Ø  Unmissverständliche und eindeutige Äußerung der eigenen Meinung.

Unternehmerische Haltung

Ø  Anstreben von Verantwortung und Bereitschaft, für Fehler geradezustehen

Ø  Berücksichtigung des Gesamtinteresses im Planungs- und Entscheidungsprozess

Ø  Interesse an allen wesentlichen Funktionen des Unternehmens

Ø  Ausgeprägtes zielbewusstes und strategisches, langfristiges Denken und Handeln

Ø  Organisationstalent und Gestaltungswille

Ø  Bereitschaft zum Risiko

Ø  Ausgeprägte Initiative und Engagement

Ø  Vorbildliches Führen der eigenen Person

Ø  Effizientes Entscheidungsverhalten.

Führungsverhalten

Ø  Vermittlung von Visionen, Zielen und Sinn

Ø  Angemessene und offene Anerkennung und Kritik

Ø  Koordinations- und Konfliktfähigkeit

Ø  Aufrichtigkeit, Fairness und gegebenenfalls Strenge

Ø  Aktives Fördern und Entwickeln von Mitarbeitern

Ø  Übertragung von Verantwortung und Ausstattung mit den notwendigen Ressourcen

Ø  Regelmäßige, konstruktive Erfolgskontrolle

Ø  Qualität und Zuverlässigkeit der Planung

Ø  Effektivität der Zielvereinbarungen und der Delegation

Ø  Erfüllen der Vorbildfunktion.

Das Beurteilungsgespräch

Je nach Unternehmens- und Personalstrategie kann man aus den zuvor genannten Beurteilungskriterien eine Auswahl treffen und zur Basis des Beurteilungsgesprächs machen. Für das Gespräch selbst gelten die allgemeinen Regeln der Kommunikation und Argumentation. Diese Themen wurden ausführlich in den Kapiteln 4 „Wirksam kommunizieren“ und 5 „Überzeugend argumentieren“ behandelt.

Das Beurteilungsgespräch zielt nicht nur auf die Arbeitsergebnisse und das Arbeitsverhalten. Gegenstand sind in der Regel auch künftige Aufgaben und längerfristige berufliche und persönliche Perspektiven des Mitarbeiters sowie Maßnahmen zur Personalentwicklung.

Im Hinblick auf den Stil der Gesprächsführung hat sich das non-direktive Gesprächsverhalten bewährt. Seine Einordnung in andere Gesprächshaltungen soll die Abbildung 8/5 verdeutlichen.

Beim direktiven Gespräch steuert der Vorgesetzte den Verlauf nach seinen Vorstellungen und Ideen. Die Sichtweisen und Belange des Mitarbeiters kommen dabei kaum zur Geltung. Das direktive Gespräch kann im Wesentlichen folgende Formen annehmen:

Ø  Stressgespräch,

Ø  autoritäres Gespräch und

Ø  patriarchalisch-autoritäres Gespräch.

Das Stressgespräch gleicht eher einem Verhör. Es versucht, dem Mitarbeiter „Geständnisse“ oder „Zugeständnisse“ abzuverlangen, ohne auf seine Bedürfnisse und Meinungen einzugehen. Das autoritäre Gespräch ist zwar etwas milder; dennoch hat der Mitarbeiter dabei kaum Gelegenheit, seine Vorstellungen und Sichtweisen einzubringen. Im patriarchalisch-autoritären Gespräch berücksichtigt der Vorgesetzte die persönlichen Bedürfnisse des Mitarbeiters. Dennoch verhält er sich wie ein überlegener, autoritärer Vater.

Abbildung 8/5: Mögliche Gesprächsformen nach Neumann

Im üblichen Dialog steuert der Vorgesetzte das Gespräch weniger stark. Zentrales Anliegen ist es vielmehr, Informationen und Meinungen auszutauschen. Beim belanglosen Geplaudere sind Lenkung und Einfluss zwischen beiden Gesprächspartnern in etwa gleich verteilt. Das kann sehr angenehm sein, führt aber dazu, dass zentrale Probleme, Anliegen oder Wünsche unausgesprochen bleiben. Das Gespräch verläuft oberflächlich.

Das besondere Merkmal des nondirektiven oder mitarbeiterorientierten Gesprächs ist die Tatsache, dass der Vorgesetzte den Verlauf nur wenig nach seinen Vorstellungen steuert. Vielmehr richtet er sich danach, was er den Äußerungen des Mitarbeiters entnehmen kann. Der Chef ist einfühlsam und bereit, sich in die Lage des Mitarbeiters hineinzuversetzen.

Die Zurückhaltung des Vorgesetzten und das Eingehen auf den Mitarbeiter bedeuten keineswegs den Verzicht auf Steuerung im Sinne einer Ergebnisorientierung. Als Steuerungsinstrumente dienen:

Ø  aktives Zuhören (wörtliches, sinngemäßes oder nachempfindendes Wiederholen des Gesagten) und

Ø  offene Fragen (Wer? Wie? Was? Wann? – also Fragen, die mehrere Antwortmöglichkeiten zulassen)

Neumann nennt folgende Merkmale der direktiven und nondirektiven Gesprächsführung:

Der direktive Vorgesetzte

-      steuert das Gespräch allein, so wie er es für richtig hält

-      vernachlässigt die Ansichten, Wünsche und Bedürfnisse des Mitarbeiters

-      spricht viel, ohne sich in den Mitarbeiter einzufühlen

-      unterbricht, wann er will

-      demonstriert Autorität

-      bewertet die Antworten explizit, widerspricht und erteilt Ratschläge

-      stellt präzise, meist geschlossene Fragen (Fragen, die meistens nur mit einem bloßen „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten sind).

Der nondirektive Vorgesetzte

-      deutet zu Beginn den Gesprächsrahmen an und überlässt das Wort seinem Mitarbeiter

-      geht auf seinen Mitarbeiter geduldig: Er ist an den Problemen seines Mitarbeiters aufrichtig interessiert

-      spricht wenig und versucht, den Mitarbeiter zum Sprechen zu bringen

-      stellt offene Fragen, also Fragen, die geeignet sind, das Gespräch zu öffnen

-      gibt keine Werturteile über die Äußerungen seines Mitarbeiters ab

-      erteilt Ratschläge nur als „Angebote“ und hält seine eigenen Vorschläge tendenziell zurück.

Das nondirektive Gesprächsverhalten bewirkt in erster Linie eine Entspannung der Beziehungsebene und begünstigt eine Atmosphäre des Vertrauens. Durch die Wiederholungen des aktiven Zuhörens lassen sich Missverständnisse sofort entdecken und ausräumen. Die Gesprächspartner sprechen die gleiche Sprache.

Es wäre ein Fehler anzunehmen, die Anzahl und Eindringlichkeit der Argumente sei ein Indikator für den Gesprächserfolg. Bei Spannungen auf der Beziehungsebene dienen etwa 80 Prozent der ausgetauschten Argumente allein dazu, den eigenen Standpunkt zu verteidigen oder zu behaupten. Dabei übersehen beide Gesprächspartner, dass Argumente gegen Gefühle (Beziehungsebene) meistens völlig sinnlos oder gar destruktiv sind. In solchen Situationen hören die Gesprächspartner einander gar nicht zu und konzentrieren ihre Energie darauf, einen Verteidigungsgürtel aus Argumenten aufzubauen. Das zwingt zu vielfachen Wiederholungen, Klarstellungen und Entgegnungen. Das Gespräch wird immer anstrengender und länger. Gleichzeitig rückt die konstruktive Lösung in weite Ferne.

Ein verbaler Wettbewerb oder Machtkampf mit Scheinargumenten, langatmigen Erklärungen, Kampf um Redeanteile, Ausreden, Rechtfertigungen und „Gegenbeweisen“ führt in der Regel dazu, dass es einen „Sieger“ und einen „Verlierer“ gibt. Der Verlierer versucht oftmals, die „Problemlösung“ im Nachhinein zu sabotieren oder beim nächsten Mal zu „gewinnen“. Er investiert seine Energie in den Kampf statt in die Arbeitsleistung. Mit anderen Worten: Ein direktives Gesprächsverhalten ist unwirtschaftlich. Deswegen ist es sinnvoll, Ergebnisse im Gespräch zu erzielen, an denen der Mitarbeiter mitwirkt. Ergebnisse unter Beteiligung des Mitarbeiters haben in der Regel eine höhere Qualität, weil viele Aspekte, Sichtweisen und Sachkenntnisse eingeflossen sind, sowie eine größere Akzeptanz, weil der Mitarbeiter sich mit dem Ergebnis identifizieren kann.

Aufgrund dieser Vorteile sollte man das nondirektive Gespräch nicht nur bei der Erörterung künftiger Aufgaben oder Entwicklungsmöglichkeiten des Mitarbeiters einsetzen: Es eignet sich auch bei der Beurteilung der Arbeitsergebnisse und des Arbeitsverhaltens. Das Problem besteht eher darin, dass es vielen Führungskräften nicht gelingt, die freundliche Haltung des nondirektiven Gesprächs mit der unmissverständlichen Einforderung von 100 Prozent Leistung zu vereinbaren. Manche Führungskräfte meinen, Leistungsmängel ließen sich nur mit unfreundlichen oder direktiven Haltungen beseitigen. Tatsächlich dürfte es wirksamer sein, auch Leistungsmängel und Fehlverhalten in einem vertrauensvollen Gesprächsklima zu behandeln.

Zusammenfassend kann man folgende Regeln für das Mitarbeitergespräch festhalten:

Ø  Wählen Sie einen verbindlichen Einstieg; kommen Sie sofort auf den Punkt, ohne Umschweife und allgemeine Themen wie Urlaub, Familie oder das Wetter!

Ø  Vermitteln Sie den Eindruck, dass Ihnen das Gespräch genauso wichtig ist wie dem Mitarbeiter!

Ø  Vermeiden Sie zu Beginn mögliche Unsicherheiten und emotionale Spannungen, indem Sie einleitend Zweck, Ablauf und gewünschtes Ergebnis des Gesprächs klar benennen!

Ø  Lassen Sie zunächst den Mitarbeiter schildern, wie er die Erfüllung seiner Aufgabe sieht und wie er selbst seine Tätigkeit, seine Leistung und sein Verhalten beurteilt!

Ø  Seien Sie zu einer Änderung Ihrer Meinung bereit, wenn unzureichende Leistungen zum Beispiel auf Umstände zurückzuführen sind, die Sie vorher nicht kannten!

Ø  Geben Sie eine Einschätzung des Verhaltens und der Arbeitsergebnisse des Mitarbeiters aus Ihrer Sicht. Nehmen Sie dabei Bezug auf die Selbsteinschätzung des Mitarbeiters!

Ø  Der Mitarbeiter sollte erkennen, woran er ist. Beurteilen Sie die Leistung nicht nur anhand messbarer Leistungskriterien. Darüber hinaus sollten Sie auch klarmachen, was Ihnen gefällt, was Sie freut, stört, nachdenklich macht oder ärgert. Sie geben dadurch dem Mitarbeiter emotionale Sicherheit und helfen ihm bei der Selbstfindung und Orientierung. Sie erreichen dadurch emotionale Akzeptanz!

Ø  Sprechen Sie ausführlich über positive Aspekte im Verhalten des Mitarbeiters. Dadurch erhöhen Sie die Akzeptanz der Kritik und vermeiden Trotzreaktionen!

Ø  Nachdem beide Seiten Gelegenheit hatten, ihre Einschätzungen darzulegen, sollten Sie klar herausarbeiten, wo Übereinstimmungen und wo Differenzen bestehen.

Ø  Diese unmissverständliche Klärung der Standpunkte ist die Basis für die weitere Zusammenarbeit.

Ø  Die Klarheit und Akzeptanz beider Standpunkte ist Voraussetzung für eine Zielvereinbarung.  

Ø  Zum Abschluss sollten beide Gesprächspartner in möglichst einem Satz sagen, wie sie den Gesprächsverlauf, das Gesprächsklima und das Ergebnis empfunden haben. Damit dokumentieren Sie Ihre Rolle als Führungskraft und erhalten gleichzeitig Feedback zu Ihrer Gesprächsführung.

Konfliktmanagement und Verhandlungen

Zum Konfliktmanagement gehört nicht nur die Konfliktlösung, sondern gelegentlich auch die bewusste Stimulierung von Konflikten, weil Konflikte den Wettbewerb und die Kreativität beflügeln und eine konstruktive Streitkultur fördern, sofern man dabei ein paar grundlegende Regeln beachtet. Im unternehmerischen Alltag sind Verhandlungen von essenzieller Bedeutung. Das gilt nicht nur für Gespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, sondern auch für Verhandlungen mit Kunden, Lieferanten, Behörden, Wettbewerbern und internen organisatorischen Einheiten. Manche Themen sind geradezu auf Konflikt angelegt. Man denke zum Beispiel an Budgetverhandlungen, Entscheidungen über Investitionen, Verteilungsschlüssel für Gemeinkosten, Auflösung von Abteilungen, Abgrenzung von Kompetenzen oder Streitigkeiten mit dem Betriebsrat.

Im Prinzip benötigen alle Mitarbeiter sinnvolle Lösungsstrategien für Konflikte, damit diese nicht in destruktive Kämpfe ausarten. In diesem Kapitel geht es folglich um die Konfliktlösung. Grundsätzlich beginnt diese mit der Analyse der Konfliktart und der Konfliktsymptome. Anschließend kommt die Suche nach geeigneten Lösungskriterien und Lösungsstrategien. Diese Themen stehen im Vordergrund dieses Kapitels. Bei den Lösungsansätzen konzentrieren wir uns auf die beiden Klassiker, nämlich das Harvard-Konzept und den Ansatz der New Yorker Polizei. Dieses Konzept stammt zwar aus dem juristischen Bereich, kann aber auch im unternehmerischen Bereich sehr nützlich sein.

Der Begriff Konflikt stammt von dem lateinischen Wort „conflictus“ und bedeutet soviel wie Zusammenstoß, Kampf. Es handelt sich also um ein Aufeinandertreffen von Gegensätzen. An dem Zusammenstoß können unterschiedliche Ziele, Wertvorstellungen, Ansprüche auf Ressourcen oder Verhaltensweisen beteiligt sein. Bei Zielkonflikten geht es um die Auseinandersetzung darüber, welche Ziele zu verfolgen sind und wie aus widerstrebenden Teilzielen ein übergeordnetes Gesamtziel zu bilden ist. Dazu ein Beispiel: Ein Marketingleiter ist der Ansicht, man solle die Rendite durch Kostensenkungen in der Produktion erhöhen. Der Leiter der Fertigung widerspricht mit dem Argument, im Marketingbudget seien die größten Einsparungspotenziale zu finden. Der Controller vertritt die Meinung, die Preise müssten angehoben werden. Darüber ist der Vertriebsleiter gar nicht erfreut und wehrt sich vehement gegen diesen Vorschlag. Die Betroffenen haben offensichtlich völlig unterschiedliche Vorstellungen darüber entwickelt, wie die Ziele zu erreichen sind, wie anspruchsvoll die Ziele sein sollen und wann ein Ziel als erreicht gelten soll.

Abbildung 8/6: Typologie von Konflikten

Die unterschiedlichen Einschätzungen nennt man Bewertungskonflikte. Hinzu kommen persönliche Ziele, die meist mit sachlichen Zielen untrennbar verbunden sind. Jede Zielverfehlung wird auch als persönliches Scheitern interpretiert. Bei gegensätzlichen Ansprüchen auf materielle und immaterielle Ressourcen handelt es sich um Verteilungskonflikte. Diese Art von Konflikten dürfte in Unternehmen am häufigsten vorkommen. Nahezu alle Ressourcen sind nämlich knapp: Budgets, Investitions- und Finanzmittel, Mitarbeiter, Aufstiegsmöglichkeiten, Gehaltserhöhungen, Erfolgsbeteiligung, Ansehen, Macht, Informationen, Einfluss, Autorität, Privilegien usw.

Beim Zusammenstoß von Verhaltensweisen geht es um die unterschiedliche Wahrnehmung und Bewertung des Verhaltens von Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern. Dazu gehört auch das gesamte Spektrum politischer Verhaltensweisen wie Pokern, Bluffen, Sabotieren, Fakten verschleiern, Vetternwirtschaft betreiben und Seilschaften bilden – um nur einige Beispiele zu nennen. Die Abbildung 8/6 soll das Gesagte zusammenfassen.

Konflikte haben grundsätzlich produktive und destruktive Wirkungen. Zu den produktiven Wirkungen zählen:

Ø  Größere Anpassungsfähigkeit durch den Wandel der Organisation, weil Unzufriedenheit herrschende Normen hinterfragt

Ø  Mehr Innovation durch die Stimulierung von Ideen und die Mobilisierung emotionaler Energien

Ø  Beseitigung von Missständen und Abbau von Spannungen sowohl zwischen verschiedenen Hierarchieebenen als auch zwischen unternehmerischen Funktionen wie Einkauf, Produktion und Verkauf.

Destruktive Wirkungen sind unter anderem:

Ø  Reibungsverluste und Blockaden, bei denen einzelne Mitarbeiter oder manchmal komplette Abteilungen gegeneinander kämpfen statt sich um ihre eigentliche Aufgabe zu kümmern

Ø  Persönlicher Stress und Frustration

Ø  Störungen in der Aufbau- und Ablauforganisation

Ø  Verschwendung von Ressourcen durch Doppelarbeiten etc.

Generell kann man davon ausgehen, dass bis zu einem gewissen Punkt ein steigendes Konfliktniveau auch zu einer Erhöhung der Effizienz einer Organisation führt. Ein zu hohes Konfliktniveau kann dagegen die Organisation lähmen und Effizienzverluste bewirken.

Für die Unternehmensführung ist es häufig eine Gratwanderung, die darin besteht, einen Weg zwischen den produktiven und destruktiven Wirkungen von Konflikten zu finden. Es geht also darum, eine konstruktive Streit- und Konfliktkultur aufzubauen und zu pflegen.

Konfliktsymptome

Eine wesentliche Voraussetzung für die Konfliktlösung ist das rechtzeitige Erkennen und Wahrnehmen von Zusammenstößen, also die richtige Diagnose. Je früher man einen Konflikt in seiner Bedeutung und Tragweite erkennt, desto geringer ist die Gefahr, dass er großen Schaden anrichtet. Dementsprechend kann die Angst vor Konflikten sehr schädlich  sein. Das Gleiche gilt für die weit verbreitete Praxis, Konflikte unter den Teppich zu kehren. Konflikte sind nicht immer klar erkennbar. Deshalb sollte man auf typische Symptome achten. Typische Konfliktsymptome können sein:

Formalität

Ø  Distanzierte oder ausgeprägte Höflichkeit

Ø  Betonen der schriftlichen Kommunikation (Briefe, Notizen etc.)

Ø  Ausarbeiten formaler Regelungen für alltägliche Probleme wie Büro- oder Vertretungsordnung.

Konformität

Ø  „Nach dem Mund reden“ und „Rad fahren“

Ø  Gute Vorschläge zurückhalten, Fehler ignorieren 

Ø  Negative Nachrichten unterdrücken oder verschleiern.

Flucht

Ø  Fehler vertuschen oder „aussitzen“

Ø  Vermeiden von Kontakten, auch wenn sie notwendig wären

Ø  Regelmäßige Arbeitsüberlastung

Ø  Vorschieben wichtigerer Probleme und Aufgaben.

Desinteresse

Ø  Nur das Notwendigste tun, sich vor Verantwortung „drücken“ 

Ø  Entscheidungen hinausschieben durch Scheinargumente

Ø  Häufiges Zuspätkommen

Ø  Niedergeschlagenheit und feindseliges Betriebsklima

Ø  Nur auf den persönlichen Vorteil bedacht sein.

Sturheit

Ø  Starres Festhalten am eigenen Standpunkt oder Routinen

Ø  Pedantisches Einhalten von überholten Vorschriften

Ø  „Dienst nach Vorschrift.“

Widerstand

Ø  Häufiges Widersprechen und Monologisieren

Ø  Trotzreaktionen und „Vetternwirtschaft“

Ø  Aufbauschen von Differenzen und Fehlern (anderer)

Ø  Betonen von Schwierigkeiten und Problemen

Ø  Verbreitetes Anwenden von Killer-Phrasen

Ø  Indirekter Widerstand in Form von „Auflaufenlassen“

Ø  Häufige Beschwerden und Herumnögeln. 

Feindseligkeit

Ø  Verletzende, herabsetzende Bemerkungen (meist hinter dem Rücken des Betroffenen)

Ø  Nicht-Anerkennen guter Leistungen

Ø  Gereiztes Klima durch Anheizen von Gerüchten, Intrigen, „Verpfeifen“ und Denunzieren

Ø  Bildung von Gruppen und Koalitionen (Seilschaften).

Lösungskriterien

Eine wichtige Aufgabe der Führungskraft besteht darin, aus den Konfliktsymptomen auf den eigentlichen Konflikt oder den Kern des Konfliktes zu schließen. Es geht zunächst darum, die Komplexität auf ein bearbeitbares Maß zu reduzieren. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Konflikt ausufert. In den meisten Fällen lässt sich ein Konflikt auf die Interessen von drei Konfliktparteien reduzieren. Typische Beispiele hat das Institut Mensch und Arbeit in einer Grafik zusammengetragen (siehe Abbildung 8/7).

Im Prinzip stellt jede der Verhaltensweisen in der Abbildung 8/7 eine „Lösung“ dar. Selbst der offene Machtkampf führt irgendwann zu einer „Lösung“ – etwa dann, wenn eine der betroffenen Parteien ihren Standpunkt mit aller Macht durchsetzt. Ein solcher Machtkampf kann unter Umständen sehr lange dauern, mit hohen Kosten verbunden sein und gravierende Auswirkungen auch für Unbeteiligte haben. Deshalb wäre diese „Lösung“ unproduktiv oder gar destruktiv. Es kann allerdings auch sein, dass der Machtkampf zu einer schnellen, effizienten und nachhaltigen Lösung führt.


Abbildung 8/7: Konfliktverhalten

In diesem Fall müsste der nächsthöhere Vorgesetzte einen Machtkampf zulassen, weil andere Lösungen wie Flucht oder Nachgeben möglicherweise einen noch größeren Schaden anrichten könnten. Um einzuschätzen, wie gravierend ein Konflikt sein kann, sollte man folgende Kriterien für die Einordnung von Konflikten beachten:

Ø  Zeitbedarf

Ø  Geldbedarf

Ø  Nebenwirkungen

Ø  Moral

Ø  Wirksamkeit

Ø  Schwierigkeitsgrad

Ø  Transparenz und

Ø  Akzeptanz.

Auf den ersten Blick scheint die kooperative Problemlösung die genannten Kriterien am besten zu erfüllen. Tatsächlich kann sie aber durch mangelnde Transparenz oder eine zu geringe Wirksamkeit unakzeptabel sein. Das bedeutet, dass es keine absolut gültigen oder richtigen Kriterien für die Konfliktlösung geben kann. Mit anderen Worten: Die Kriterien sind situationsabhängig. Die Führungskraft muss in jedem Einzelfall entscheiden, welches Kriterium gelten soll und dementsprechend verschiedene Verhaltensweisen fördern oder bremsen.

Anhand der Kriterien kann man dann die am besten geeignete Problemlösung auswählen. Dazu sollte man die Kriterien entsprechend der jeweiligen Situation und der Unternehmenskultur nach ihrer Bedeutung gewichten. So dürfte zum Beispiel in einer leistungsorientierten Kultur der Zeitbedarf die größte Bedeutung haben. Einen Überblick über den Zusammenhang von Kriterien und Verhaltensweisen soll die nachfolgende Übersicht vermitteln.

Kriterien für die Auswahl der „besten“ Konfliktlösung

Kriterium              

 

Konfliktlösung

Zeitbedarf

Geldbedarf

Nebenwirkungen

Moral

Wirksamkeit

Akzeptanz

Transparenz

usw.

Machtkampf: Durchsetzung des eigenen Standpunktes

Oberflächlich kooperieren, den Konflikt überspielen

Nachgeben

Flucht: Versetzung oder Kündigung

Kontrahenten unterwerfen

Beziehung zum Kontrahenten abbrechen

Kompromiss

Kooperative Problemlösung

Tauschgeschäfte anbieten, „ködern“

Sich auf Regeln, Vorschriften, Präzedenzfälle berufen

Einen gemeinsamen Feind finden

Sich an einem Dritten abreagieren

Starke Verbündete suchen

Konflikt delegieren (an Vorgesetzten)

Umorganisation, Versetzung

Die Situationsabhängigkeit einer „richtigen“ Konfliktlösung legt es nahe, einen Konflikt nach denjenigen Regeln zu behandeln, wie sie auch für die allgemeine Problemlösung gelten. Demnach sollte die Führungskraft versuchen, einen drohenden destruktiven Kampf der Konfliktparteien in einen Verhandlungsprozess oder in einen Kampf um die beste Lösung umzufunktionieren.

Mit anderen Worten: Man muss die Konfliktparteien dazu bringen, ihre Energie in die Suche nach der „besten“ Lösung zu investieren. Häufig ist es heilsam, wenn man den betroffenen verdeutlicht, welche Nachteile andere „Lösungen“ haben. Es ist eine Strategie der Nützlichkeit, indem die Betroffenen den Konflikt systematisch analysieren, auf den Kern reduzieren und so lange suchen, bis eine Lösung gefunden ist, die für möglichst alle Betroffenen akzeptabel ist (siehe Abbildung 8/8).

Abbildung 8/8: Lösungsstrategien 

Auch wenn diese formale Konfliktlösung sinnvoll erscheint, wird sie in der Praxis durch die Emotionalität erschwert. Dies sei am folgenden Beispiel von Meinungen über eine Gehaltserhöhung verdeutlicht:

Der Mitarbeiter meint ...

Der Vorgesetzte meint ...

Mein Gehalt wurde schon lange nicht mehr erhöht.

Im Vergleich zur Leistung verdient er schon jetzt zu viel.

Alles wird teurer. Ich muss doch über die Runden kommen.

Alle Kosten steigen. Wir müssen die Personalkosten bremsen.

Die letzten Aufgaben habe ich doch sehr gut erledigt.

Schon seit langem engagiert er sich nicht mehr so richtig.

In anderen Firmen verdient man wesentlich mehr bei gleicher Arbeit.

Andere Firmen sind nicht so großzügig mit Gehaltserhöhungen wie wir.

Junge Leute wie ich müssen gerade am Anfang ihrer Karriere große Gehaltserhöhungen bekommen, weil alles im Aufbau ist.

Junge Leute müssen erst noch etwas leisten und ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen, bevor sie sich auf ihren Lorbeeren ausruhen können.

Ich bin fleißig und selbstständig in meiner Arbeit. Ich frage nicht wegen jeder Kleinigkeit, weil ich mich so gut auskenne. Ich halte andere nicht von der Arbeit ab und bin nicht geschwätzig.

Er ist eigenbrötlerisch und umständlich. Er fragt erst dann, wenn es meistens schon zu spät ist. Er zeigt wenig Kooperationsbereitschaft. Außerdem ist er nur selten hilfsbereit.

Dass ich viel arbeite, sieht man doch schon an meinem vollen Schreibtisch.

Sein voller Schreibtisch zeigt doch, dass er mit dem Tagesgeschäft gar nicht richtig fertig wird.

Eine verbreitete „Lösungsstrategie“ ist das weit verbreitete „Ja-aber-Gespräch“. Der eine Gesprächspartner sagt zunächst „Ja“ oder: „Ich stimme mit Ihnen völlig überein.“ Dann jedoch kommt das „Aber“ mit dem Widerspruch. Genau genommen hat der eine Gesprächspartner nur herausgehört, wo er dem anderen widersprechen kann. Gesprächsanalysen zeigen, dass zwei Partner, die in der „Ja-aber-Form“ miteinander sprechen, keine Inhalte oder sinnvolle Informationen austauschen. Eine Verständigung ist gar nicht möglich. Am Ende kommen die gleichen Sätze wie am Beginn des Gespräches – ohne von der Stelle gekommen zu sein.

Die Angst von Interessengegensätzen und das Einlenken führen dazu, dass die Beziehung unecht, fassadenhaft und immer distanzierter wird. Die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit kann nicht entstehen. Die Verschleierung von gegensätzlichen Interessen vernichtet Vertrauen und fördert die Entstehung von Vorurteilen, Vorwürfen und Rechtfertigungen.

Wenn der kämpferische Wettbewerb mehr Schaden als Nutzen stiftet und das Nettsein genauso kontraproduktiv sein kann, dann liegt der Ausweg im konstruktiven Interessenausgleich. In Anlehnung an Schuh und Watzke kann man hierzu die „VIP-Gesprächsregel“ vorschlagen. Das V steht für Verstehen des anderen Standpunktes, das I für Interesse und verlangt, dass die Gesprächspartner offen ihre Interessen und Probleme mitteilen. Das P steht für Problemlösung und fordert dazu auf, die Energien nicht in nerven- und zeitraubende Kämpfe und Täuschungsmanöver zu investieren, sondern in die gemeinsame Erarbeitung kreativer Problemlösungen.

Die Gesprächspartner versuchen also – bildlich gesprochen – den Kuchen erst einmal zu vergrößern, bevor sie ihn verteilen. Sie entwickeln zunächst in einer Art Brainstorming verschiedene Alternativen, die sie dann bewerten und die beste Möglichkeit auswählen. Die Abbildung 8/9 fasst das Gesagte zusammen.

Der Kerngedanke einer solchen Gesprächsführung ist einfach: Je besser Sie die Interessen, Motive und Hintergründe Ihres Verhandlungspartners verstehen, desto schneller und einfacher finden Sie eine gemeinsame Problemlösung. Dabei sollte es selbstverständlich sein, dass Sie Ihre Interessen, Motive und Hintergründe genauso offen darlegen wie Ihr Gesprächspartner. Gegebenenfalls sollten Sie Ihre Vorbildfunktion wahrnehmen. Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit der Suche nach „Schuldigen“ oder sonstigen Ursachen. Die Vergangenheit können Sie ohnehin nicht mehr ändern.

Abbildung 8/9: Verhandlungslösung nach Schuh/Watzke

Das Verhandeln anhand objektiver Kriterien bei Konflikten und anderen kritischen Situationen haben Fisher und Ury unter dem Namen Harvard-Konzept publiziert. Der Kerngedanke besteht darin, dass die Verhandlungspartner nicht um Positionen feilschen sollten, weil sich dadurch die Gegensätze nur verfestigen. Eine Einigung ist dann ohne Gesichtsverlust oder Niederlage einer Seite kaum noch möglich. Auch Nettsein ist keine Lösung, weil die Gegensätze dann unter den Teppich gekehrt werden, und langfristig die Beziehung belasten. Deshalb sollte man sich zunächst auf Kriterien einigen und dann nach der besten Lösung suchen. Zusammenfassend kann man das Harvard-Konzept mit der folgenden Übersicht darstellen:

Haltungen in Konfliktgesprächen nach dem Harvard-Konzept

Weich

Hart

Sachbezogen

Gesprächspartner sind „Freunde“. Ziel: Übereinkunft mit der Gegenseite

Gesprächspartner sind „Gegner“. Ziel: Sieg über die Gegenseite

Gesprächspartner sind Problemlöser. Ziel: kreativer Interessenausgleich

Konzessionen dienen der Verbesserung der Beziehung

Konzessionen sind Voraussetzung der Beziehung

Menschen und Probleme getrennt behandeln

Weiche Einstellung zu Menschen und Problemen

Harte Einstellung zu Menschen und Problemen

Weich zu den Menschen, hart in der Sache

Vertrauen zum anderen

Misstrauen gegenüber dem anderen

Weder Vertrauen noch Misstrauen

Verhandlungslinie ist offen gelegt

Verdeckte Verhandlungslinie

Verhandlungslinie vermeiden

Bereitwillige Änderung der Position

Beharren auf der eigenen Position

Interessen, nicht Positionen

Angebote werden unterbreitet

Drohungen erfolgen

Interessen erkunden

Einseitige Zugeständnisse werden in Kauf genommen

Einseitige Vorteile gelten als Preis für die Übereinkunft

Möglichkeiten für gemeinsamen Nutzen suchen

Bestehen auf
Übereinkunft

Bestehen auf der eigenen Position

Bestehen auf objektiven Kriterien

Vermeidung von Willenskämpfen

Bemühen um einen Sieg

Ein akzeptables Ergebnis erreichen

Nachgeben bei starkem Druck

Starken Druck ausüben

Nur Argumente zählen

Das Modell der New Yorker Polizei

Was kann man von dem Verhandlungsmodell der New Yorker Polizei lernen? Dazu einige Erfahrungen von Dominick Misino. Er wurde bekannt durch die erfolgreichen Verhandlungen mit den Entführern der Lufthansa-Maschine (Flug 592) im Jahre 1993 in Äthiopien. Sein Konzept erläutert er in einem Interview mit der Harvard Business Review im Oktober 2002. Demnach benötigt man für extrem kritische Verhandlungssituationen keine besonderen Fähigkeiten, sondern in erster Linie „angewandten gesunden Menschenverstand“. Grundsätzlich kommt es darauf an, die einfachste Lösung anzustreben. Ferner sollte man ein paar einfache Regeln beachten. Die erste und wohl wichtigste Regel besteht darin, höflich zu sein, auch wenn man es mit einem bewaffneten Schwerverbrecher zu tun hat. Er befindet sich typischerweise in einer Kampf-oder-Flucht-Situation. Um diese zu entspannen, ist es notwendig zu verstehen, was in seinem Kopf vor sich geht. Dazu muss man ihm erst Respekt entgegenbringen, um die eigene Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit zu demonstrieren. Noch bevor der Täter Forderungen stellt, fragt ihn Misino, ob er irgendetwas benötigt. Es geht nicht darum, ihm zum Beispiel ein Fluchtfahrzeug bereitzustellen. Es geht vielmehr darum, ihm zu zeigen, dass man bemüht ist, seine Lage ernst zu nehmen. Diese Art von Respekt führt in der Regel dazu, dass sich auch diese Person zur Gegenleistung verpflichtet fühlt.

Es ist nicht einfach, zu einem Täter, wie zum Beispiel einem Kinderschänder, höflich und verständnisvoll zu sein. Die Professionalität verlangt es aber, die Gefühle und die Aufgabe strikt zu trennen. Im Falle der Entführung der Lufthansa-Maschine bestand die Aufgabe darin, in nur 45 Minuten eine Beziehung zu den Entführern aufzubauen und das Flugzeug mit 104 Passagieren zum Landen zu bringen.

Eine andere Methode besteht darin, den Täter zu fragen, ob er Wert darauf legt, die Wahrheit zu erfahren und was der Verhandlungsführer wirklich denkt. Meistens lautet die Antwort „Ja“.  Diese Übereinstimmung ist deshalb so wichtig, weil erfolgreiche Verhandlungen meistens aus einer Serie vieler kleiner Vereinbarungen bestehen. Man sollte jede Gelegenheit nutzen, nach gemeinsamen Vereinbarungen zu suchen. Dadurch lernt der andere, dass er Vertrauen zu dem Verhandlungsführer haben kann. Es kommt also da-rauf an, die Zustimmung zu kleineren Abmachungen zu bekommen um anschließend weitere Vereinbarungen folgen zu lassen. Wenn der Verhandlungsführer anbietet, die Wahrheit zu sagen, dann sagt er auch, dass er dann Dinge sagen muss, die der Täter auf keinen Fall hören will. Er müsse aber versprechen, trotzdem niemanden zu verletzen, wenn es sich zum Beispiel um eine Geiselnahme handelt. In 90 Prozent der Fälle bekommt er diese Zusage. Und das scheint auch bei schwierigen Menschen eine „Ehrensache“ zu sein, sich an Vereinbarungen zu halten.

Ein weiterer entscheidender Faktor für den Verhandlungserfolg ist die Fähigkeit, gut zuhören zu können. Gerade bei äußert schwierigen Individuen ist das so wichtig, weil diese Menschen oft jahrelang darunter litten, dass ihnen niemand ernsthaft zugehört hat. Es handelt sich um das so genannte Aktive Zuhören. Misino fordert den Täter dazu auf, seine Sicht der Dinge darzustellen. Dabei achtet er auf Ereignisse, bei denen der Täter sich ungerecht oder unfair behandelt fühlte. Die subjektive Sicht des Täters zu akzeptieren bedeutet nicht, dass man ihm Recht gibt oder seine Taten billigt. Es geht vor allem darum, das emotionale Chaos zu sortieren und die Situation des Täters möglichst bewusst und nachvollziehbar zu machen. Folglich gleichen solche Gespräche einer Achterbahn der Gefühle, und zwar für alle Beteiligten. Durch das Aktive Zuhören hilft man also dem Täter, seine Gefühle zu verarbeiten. Hilfreich ist dabei auch die Technik des Spiegelns, bei der es darauf ankommt, die Aussagen des anderen entweder wörtlich oder sinngemäß zu wiederholen. Auf diese Weise bekommt man viele zusätzliche kritische Informationen, weil der andere geneigt ist, jede Wiederholung mit zusätzlichen Fakten zu ergänzen. Durch das Spiegeln gelangt man schließlich in ein mehr oder weniger normales Gespräch. Schon die alten Griechen kannten diese Technik. Sie heißt „Mäeutik“. Beim Aktiven Zuhören sollte man besonders genau auf alle Gefühle achten, die sich hinter den Worten des Täters verbergen. Ab einem gewissen Punkt wechselt man zur Wir-Form, in der man zum Beispiel sagt: „Dieses Problem können wir lösen.“ Dadurch lässt sich die Isolation vermindern. Bei aller Empathie ist dennoch Vorsicht geboten, weil der Verhandlungsführer nur bis zu einem gewissen Grad in der Lage ist, sich in die Situation des anderen hineinzuversetzen. Er muss also authentisch bleiben. Das ist die Kunst.

Am schwersten haben es Verhandlungsführer, die es kaum ertragen können, persönlich abgelehnt zu werden. Sie müssen über ihren eigenen Schatten springen. Ein weiterer Erfolgsfaktor für kritische Verhandlungen ist die Teamarbeit. Ein solches Team besteht in der Regel aus 5 Personen. Außer dem Verhandlungsführer gibt es noch einen Entscheidungsträger und einen Coach, der für moralische Unterstützung sorgt. Hinzu kommt jemand, der wichtige Informationen aus dem Umfeld sammelt, sowie eine Person, die die Rolle des Protokollanten übernimmt, damit wichtige Namen, Orte, Vereinbarungen und Zwischenergebnisse nicht vergessen werden. Die Trennung von Verhandlungen und Entscheidungen führt zu einer außerordentlich wichtigen Verringerung des Drucks auf den Verhandlungsführer und zu einer ernormen Verstärkung seiner Verhandlungsmacht. Außerdem gewinnt man wertvolle Zeit. Dieses Prinzip hat sich übrigens auch in der Diplomatie bestens bewährt.

Was ist für Misino die wichtigste Erkenntnis aus seinen jahrelangen Erfahrungen mit Verhandlungen in äußert kritischen Situationen? „.... you have to help the other guy to save face ... They have their own kind of dignity. If you can show these guys a way to maintain their pride while facing a defeat they know is inevitable, they’ll go along with what you want.”